7 schlechte Gründe, mehr zu schaffen

Das passiert im Moment nicht so oft: Ich habe ganz unerwartet eine Stunde Zeit zwischen zwei Terminen. Was tun? Kaffeetrinken ist erstmal eine gute Idee – aber sonst? Nichts tun? Ich schließe einen Kompromiss mit mir selbst und nehme mir die Zeit, darüber nachzudenken, warum ich eigentlich so oft das drängende Gefühl habe, etwas erledigen oder schaffen zu müssen. (Reflektieren und darüber schreiben ist zwar nicht gleich Nichtstun, hilft aber bei der Standortbestimmung und beim Stressabbau.) Hier sind also meine 7 schlechten Gründe, mehr schaffen zu wollen:

  1. Angeblich mag niemand Stress, aber das ständige Laufen im Hamsterrad kann einen großen subjektiven Vorteil haben: Wer dauernd zu tun hat, kann die wirklich schwierigen Fragen gut verdrängen. Der Sinn des Leistungswahns? Die großen Ziele unserer hektischen Aktivitäten? Gute Fragen, aber leider keine Zeit drüber nachzudenken. Auch wenn es die eigene Gesundheit kostet: Die Leiden im Hamsterrad sind uns wenigstens bekannt und werden deshalb oft dem Unbekannten vorgezogen, das wir entdecken könnten, wenn wir uns ab und zu etwas grundlegenderen Fragen stellen würden.

  2. Informationen und Kommunikation sind immer schneller verfügbar, und in der Regel versuchen wir automatisch, damit Schritt zu halten. (So stelle ich gerade fest, dass es hier im Café WLAN gibt; obwohl ich gerade gar keinen Internetzugang brauche, muss ich mich natürlich sofort verbinden.) Ab und zu lohnt es sich aber doch zu fragen, welche Kommunikationswege und -inhalte sinnvoll sind. Der schlechteste Grund zur Mediennutzung ist wohl, das Kommunikationsverhalten der Anderen nachzuahmen, statt den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu kommunizieren. Neuerdings droht allerdings der Ausschluss aus der allgemeinen Kommunikation, wenn man dies nicht tut – nach Angaben von immer mehr Leuten ist dies ein wichtiger Grund, ein Facebook-Profil zu haben (die gleichen Leute geben an, dass der größte Teil der Kommunikation über Facebook sinnlos ist).

  3. Arbeit als Lifestyle – recht verbreitet heutzutage. Die Erscheinungsformen sind vielfältig: Das „Business-Lifestyle-Magazin“ BUSINESS PUNK (www.business-punk.com), das ich neulich erstmals am Bahnhofskiosk gesehen habe, bringt es zum Ausdruck. Dabei scheint der Inhalt nicht ganz so doof zu sein wie das Äußere – doch warum braucht es dieses einschließlich des Slogans „Work hard, play hard“? Aua.

  4. In der Zusammenarbeit, zumal in der Führung bietet das ständige Beschäftigtsein eine wunderbare Schutzfunktion. Lästige Nachfragen lassen sich mit einem „Keine Zeit!“ abweisen, das auch nicht weiter begründet werden muss: Wer arbeitet, hat recht. Auch die schwierige Aufgabe, Führung und Zusammenarbeit erfolgreich zu gestalten, halten sich manche Leute so vom Leib.

  5. Dann gibt es da noch das Geld. Natürlich, jeder braucht es zum Leben. Aber wie viel braucht man eigentlich wirklich?

  6. Gutes tun, das ist für viele Leute gerade im Nonprofit-Bereich wichtiger als Geld verdienen. Sonst würden sie ja woanders arbeiten. Allerdings halte ich es nicht für hilfreich, so viel wie möglich Gutes tun zu wollen, ohne zu reflektieren, ob es tatsächlich eine Wirkung hat. Soziale Veränderungen sind ziemlich komplex und schwierig zu bewerkstelligen. Insofern ist gerade der Aktionismus und Immer-mehr-des-Gleichen-tun fragwürdig – übrigens auch ethisch, denn Nonprofit-Arbeit verbraucht knappe, oftmals öffentliche Ressourcen. Daher: Gutes tun, aber reflektiert und lernbereit.

  7. Schließlich sind da noch Anerkennung und Bestätigung ein, die wir zum Leben brauchen. In einer Leistungsgesellschaft ist die Arbeit natürlich ein sicherer Weg, Anerkennung zu bekommen – und das ist auch in Ordnung so, wenn die Maßstäbe stimmen. Leider sind Status und Position nicht immer eine Indikator für anerkennungswürdige Leistungen, die jemand vollbracht hat. Und: Die Arbeit darf nicht die einzige Quelle der Anerkennung sein. Das ist ungesund.

So, die freie Stunde ist um. Es gibt noch viel zu tun. Welche schlechten Gründe mich dazu antreiben? Dazu demnächst mehr in diesem Blog.

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Über den Autor

Martin Peth
Gründer und Gesellschafter bei SYSTOPIA