Soziokratie-Blog Teil 1: Sozio-was?
Tycho Schottelius
Soziokratie ist eine Organisationsform, die Entscheidungs- und Managementprozesse durch systemische Moderationsmethoden unterstützt. Da SYSTOPIA in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist, möchten wir schrittweise soziokratische Prinzipien umsetzen, um unsere interne Zusammenarbeit zu verbessern.
Soziokratie ist eine Organisationsform, die Entscheidungs- und Managementprozesse durch systemische Moderationsmethoden unterstützt. Da SYSTOPIA in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist, möchten wir schrittweise soziokratische Prinzipien umsetzen, um unsere interne Zusammenarbeit zu verbessern. Mit Organisationscoach Kathrin Schmitz als externe Beraterin machen wir uns auf die soziokratische Reise. In dieser Blogreihe dokumentieren wir unsere Erfahrungen.
Sozio-was? Eindrücke aus unserem ersten soziokratischen Arbeitskreis
Ich versteh immer Soziopathie! Anfangs fand ich ja diese Suche nach neuen Prinzipien, die Zusammenarbeit zu verbessern total spannend. Aber letztlich ernüchtert sich das Ganze dann ja doch schnell unter dem Arbeitsdruck und zwischen diesen ganzen Terminen. Überhaupt, diese Termine, in denen am Ende des Tages außer vielen gesprochenen Phrasen kaum etwas bleibt und jeder sich bis zum nächsten Treffen wieder in seinen Tickets vergräbt. Aber hey, lass ich mich doch nochmal drauf ein. Bei SYSTOPIA läuft das ja schon anders und wir nehmen Prinzipien ernster. Das mit den flachen Hierarchien und dem Umgang auf Augenhöhe wird bei uns ja auch gelebt und ist nicht bloß etwas das man gerne mal betont. Also höre ich zu, was unsere Trainerin im ersten Meeting des neu-gegründeten Arbeitskreises „Wartungsmanagement“ zu erzählen hat. Ich verstehe immer noch jedes mal Soziopathie, aber relativ schnell wird die Sache greifbarer. Mit meiner Kritik an Meetings stehe ich nicht allein da. Was wenig überrascht, aber doch scheinbar einige Menschen angetrieben hat, diesen Zustand zu verbessern: durch Struktur, Rollen, feste Abläufe. Wir sind uns alle einig, dass man sprechen muss, manchmal wahrscheinlich besser einmal mehr, da kommt man nicht drum herum. Also lasst uns verbessern, wie wir Absprachen organisieren: Oder wie unser Coach Kathrin sagt: Aus Sitzungen mit mehr Energie rausgehen!
Runde Sache: Rollen, Kreise und ihr Nutzen
Es beginnt mit einer Ankommensrunde. So Pädagogik-Strickpulli-mässig. Ich denk mir noch: lass uns doch jetzt mal loslegen, damit wir am Ende des Meetings auch etwas erreicht haben, aber nein, erstmal reihum jeder Status abgeben. Wie fühl ich mich heute, was beschäftigt mich, Raum für Gedanken und so. Na gut, ich wollte ja geduldig bleiben. Sinn & Zweck des Ganzen ist – abgesehen von dem Gefühl wahrgenommen zu werden, tatsächlich, dass wir unsere Gegenüber besser einschätzen können und Missverständnissen vorbeugen. Als Abschluss des Meetings, soll es noch einmal eine Runde für Gedanken-Austausch geben, so im Sinne von Resümee ziehen. Klingt höflich, wertschätzend, anständig. Mach ich mit, entspricht unserem kollegialen Umgang miteinander. Und tatsächlich: Vertrauen und Transparenz sind die gesetzten Mittel mit denen das eigentliche Ziel der Soziokratie angegangen werden soll: Selbst-Organisation. Also das Auflösen des gerade in Deutschland schwer tradierten Von-Oben-Nach-Unten-Prinzips. Die Last auf mehr Schultern verteilen, kann man es sicher auch nennen. Denn letztlich ist es doch das, was den viel beschworenen Team-Geist ausmacht. In der Soziokratie soll das im Wesentlichen durch zwei Prinzipien umgesetzt werden: Das Organisieren in Kreisen (deshalb nennt sich das hier AK für Arbeitskreis) und die Vergabe von Rollen innerhalb dieser Kreise. Sechs bis acht Personen soll eine gute Anzahl an Kreis-Teilnehmenden sein, wir sind zu viert, einer wird noch bald dazu kommen, passt doch. Kathrin ist nicht nur als Soziokratie-Coach bei uns, sondern sie übernimmt die erste Rolle im Arbeitskreis: Moderation. Langsam komme ich aus der Deckung, denn das erinnert mich doch daran, was wir seit gut einem Jahr in unserem Entwickler*innen-Café umsetzen. Dort übernimmt jede*r Mal die Rolle der Moderation. Wir hatten uns in unserer SYSTOPIA-Camp-Woche anfang des Jahres über das Format ausgetauscht und nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht. Ein „Problem“ war zu dem Zeitpunkt, dass ein offener Austausch zwar gewünscht ist, aber wenn strukturlos umgesetzt, dann passieren häufig drei Dinge:
- Themen eskalieren ungebremst und man bleibt hängen, schafft also nicht die Agenda und dreht sich im Kreis.
- Zurückhaltende Kolleg*innen oder einfach diejenigen, die bei einem Thema nicht so beteiligt sind, sitzen ihre Zeit ab und bleiben zurück.
- Am Ende ist man ohne Entscheidungen aus dem Treffen gekommen, hat viel gesagt/gehört, nichts entschieden, also wird auch kaum was passieren.
Eine Moderation kann nun durch eine vorbereitete Agenda führen, die Zeit im Blick behalten, Wortmeldungen beachten, Redefluss eindämmen und Abstimmungen fordern.
Alle einverstanden? Die Grundsätze von Konsent-Entscheidungen
Ob jemand vom Kreis als Moderator*in angenommen und damit legitimiert wird, muss natürlich von allen abgestimmt werden. Dafür lernen wir einen weiteren Unterschied zu unserem bisherigen Vorgehen: Konsent-Entscheidungen.
Das gewohnte demokratische Prinzip der Mehrheits-Entscheidung läuft in der Praxis ja etwa so: es wird ein Vorschlag formuliert und dann gefragt: Wer ist dafür, dagegen, enthält sich. Jede*r einzelne fragt sich in diesen Momenten in irgendeiner Weise selbst: Finde ich das gut? Hilft uns das? Habe ich da Lust drauf? Gefällt mir die Richtung aus der der Vorschlag kommt… Also eine ganze Palette persönlicher Kriterien wird eröffnet und führt dann dazu, dass wir uns auf einem der drei erfragten Plätze wiederfinden. Das kann man weiter aufwerten, indem man nach dem Konsens fragt, also keine offene Ablehnung bestehen darf.
Beim soziokratischen Konsentprinzip hingegen, müssen sich aber nicht alle „einig“ sein, es genügt das Einverständnis zu einer Lösung gekommen zu sein, die entsprechend den Umständen geeignet ist. Die explizite Frage bei Abstimmungen lautet daher: “Habe ich ernsthafte Einwände oder Bedenken, dass der Beschluss unser Ziel gefährdet?“ Es wird also nicht danach gefragt, ob alle einverstanden sind, sondern ob jemand dagegen ist. Zeigt ein Daumen nach unten, dann ist der Vorschlag noch nicht beschlussfähig und es bedarf weiterer Abstimmung. Alle Daumen zeigen nach oben: Sache beschlossen. Das kann von der Moderation auch zwischendrin mal abgefragt werden und braucht kaum Zeit, beteiligt aber alle Anwesenden ungemein. Ich bin sofort überzeugt. Allein dieser Perspektivenwechsel versachlicht sehr und hilft bei Entscheidungen. Das macht sogar richtig Spaß: Agenda angenommen: Daumen hoch, Kathrin als Moderatorin: Daumen hoch, kurze Pause/Fortsetzung folgt.
Sollte Ihr Daumen an dieser Stelle tendenziell nach oben weisen, dann geht es im nächsten Newsletter weiter mit der systokratischen Reise. Dann berichte ich von unserer ersten korrekt durchgeführten Wahl und wie es uns gelingt, eine moderationsfähige Agenda zu erstellen.