Soziokratie-Blog Teil 2: Auftakt im ganzen Unternehmen
Tycho Schottelius
Ende 2023 haben wir mit der Gründung des Arbeitskreises „Wartungsmanagement“ unsere ersten Erfahrungen mit der Soziokratie gesammelt. Wie macht sich das Ganze denn jetzt in der Praxis?
Was wir bisher gelernt haben
Zunächst mal wurde es eher aufwändiger uns zu organisieren. Die Meetings müssen vorbereitet werden, was bedeutet, das Leitung und Moderation aus dem Themenspeicher eine Agenda erstellen. Die Beiträge werden unterschiedlichen Kategorien zugeteilt (Bericht, Meinungsaustausch, Beschluss) und mit Zeiten geschätzt. Während der Treffen wird Protokoll geführt, Beschlüsse dokumentiert und die Agenda nachbereitet. Außerdem müssen ja die Rollen für jeden Arbeitskreis durch diesen selbst gewählt werden (Moderation, Leitung, Delegierte, Sekretariat). Das alles braucht zunächst Zeit und wenn man wie wir bei SYSTOPIA plant das unternehmensweit einzuführen, muss man sich ja auch noch Gedanken über die Struktur der Arbeitskreise und die benötigten Arbeitsmittel machen. Nicht zuletzt bedeutet Erneuerung / Umstrukturierung / Optimierung, wie auch immer man es nennen möchte erst mal mehr Aufwand. Es wird also langsam deutlich, dass wir uns ganz schön was vorgenommen haben.
Doch wir können auch bereits erste Vorteile erkennen. Schließlich war unser Arbeitskreis (AK) Wartungsmanagement aus einer Notsituation geboren. Die anstehenden Updates von Drupal zogen eine ganze Kette von weiteren Aktualisierungen nach sich, die sich bei uns angestaut hatten. PHP8, Smarty3, CkEditor5. Wir waren stark mit Neuentwicklungen ausgelastet und sollten gleichzeitig diese außerordentlichen Wartungsaufgaben stemmen. Wir mussten hier schnell handeln. Und da konnte uns die Einführung soziokratischer Prinzipien tatsächlich unmittelbar helfen. Denn bereits in den ersten Treffen konnten wir einige wichtige Entscheidungen und Ausrichtungen klären, für die wir zuvor viel länger und zäher in den Ring steigen mussten. Wir konnten für die ersten nach dem neuen Prinzip abgehaltenen Besprechungen die essentiellen Themen identifizieren und klären, was geklärt werden musste. Das machte uns erstaunlich schnell handlungsfähig.
Generalprobe für die Arbeitskreis-Sitzung
Für Mitte Januar hatten wir unser SYSTOPIA-Camp geplant. Also eine knappe Woche in der alle Mitarbeitenden im Bonner Büro zusammenkommen, um sich der internen Organisations-Entwicklung zu widmen. Konsequenterweise hatten wir uns zwei volle Tage genommen, um unsere Pläne bezüglich Soziokratie aufs Unternehmen auszudehnen. Dazu wurde Kathrin Schmitz vom Soziokratiezentrum eingeladen. Sie sollte uns zum einen coachen, damit diejenigen, die bisher mit dem Thema noch nicht in Berührung gekommen waren, erfuhren worum es geht und die anderen ihr bisheriges Wissen vertiefen konnten. Außerdem wollten wir gemeinsam den nächsten Implementierungsschritt gehen und konkrete Arbeitskreise planen - vor allem den Arbeitskreis, der die Arbeitskreise plant 😉.
Ich möchte hier natürlich nicht für Kathrin sprechen, aber an einigen ihrer Reaktionen habe ich schon gemerkt, dass wir ein eher ungewöhnlicher Fall für ein Soziokratie-Training sind. Abgesehen davon, dass das Prinzip zwar gut auf Unternehmen anwendbar ist, aber in der Realität eher in weniger wirtschaftlichen Kontexten wie Wohnprojekten zu finden ist, waren wir alle nicht nur neugierig, sondern tatsächlich übermäßig aufgeschlossen. Viele von uns haben in ihrem außer-systopischen Leben bereits diverse Erfahrungen in Sachen Selbstorganisation gemacht und sind daher auch durchaus bereit, neu Gelerntes auch in andere Bereiche des Lebens mitzunehmen. Kurz: wir hatten viele Fragen! Kathrin war mit uns am ersten Tag gleich tief abgetaucht, um uns auf die Rolle der Moderation vorzubereiten. Wir wollten dabei auch gleich ein internes Thema angehen und simulierten nicht nur ein Meeting mit Beschluss, sondern führten es unter Beobachtung der Nicht-Kreis-Angehörigen durch. Was uns mit durchaus gemischten Gefühlen und einiger Verwirrung hinterließ. Ich persönlich fand es sehr erkenntnisreich und hatte die Situation mit der finalen Probe vor einer Theater/Konzert-Premiere verglichen: die muss in gewissem Sinne scheitern, damit die Aufführung gelingt.
Der soziokratische Impuls zieht große Kreise...
Und so war der zweite Tag des Workshops dann tatsächlich für alle erhellend und wir konnten ein erstes Schema der einzuführenden Kreisstruktur erstellen. Ganz klassisch mit Pappkärtchen und Stecknadeln haben wir unsere bisher praktizierte Struktur neu anordnen können. Dabei steht in der Mitte immer ein Koordinationskreis, an den die weiteren Kreise angeschlossen sind. Wie diese Kreise nun mit Personal besetzt werden, kann man dabei erst mal von zwei Perspektiven angehen. Unser Blick konzentrierte sich auf den technischen Teil der Organisation. Wohl auch, weil es den AK-Wartungsmanagement ja schon gab. Darüber stünde dann ein AK-Technik, in dem es wenigstens einen Vertretenden aus jedem Unterkreis gäbe (Leitung und/oder Delegierte\*r). Somit würde sich der AK-Technik aus dem Personal seiner Unterkreise zusammensetzen, beispielsweise AK-Administration, AK-Entwicklung und eben AK-Wartungsmanagement. Das wäre mit all den Rollen schon eine ganze Menge Aufwand, aber vermutlich auch Klarheit und Transparenz. Prinzipiell könnte man aber auch sagen, wir wollen im AK-Technik bestimmte Personen mit starker Meinung haben und diese ziehen dann bei Bedarf Unterkreise auf. Das wird der AK-Soziokratie, unser Implementierungskreis durchspielen und organisieren. Diesen zu gründen sollte dann auch die abschließende Aufgabe des Workshops werden. Kathrin freute sich sehr über unser beständig großes Interesse, da sich sieben Personen für den Kreis meldeten. Als wir uns höflich und verständig gegenseitig den Vortritt ließen, als es darum ging den Kreis dann auch wieder gesund-zu-schrumpfen, musste unser Soziokratie-Coach herzhaft lachen. So sind wir halt bei SYSTOPIA, dachte ich mir und verspürte großen Optimismus, dass sich der Aufwand sehr bald lohnen wird. Mein Interesse ist jedenfalls weiterhin stark, immerhin bin ich nun in zwei Arbeitskreisen tätig. Wie wir mit der Einführung des soziokratischen Modells konkret fortfuhren, berichte ich euch dann im nächsten Teil.